Ausgefunkt

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Freifunk - braucht das die Welt wirklich?

Seit mehr als drei Jahren engagiere ich mich in Freifunk-Projekten, hauptsächlich in Frankfurt, ein wenig in Backnang und früher auch in Stuttgart. Bisher war bei mir alles dabei: Größere Installationen, Events, und seit ca. einem Jahr bin ich “hauptverantwortlicher” für die Frankfurter Firmware.

So richtig voran kommt Freifunk allerdings nicht. Abundzu frage ich mich recht deutlich, ob ich in diesem Projekt richtig bin, oder anders ausgedrückt: Ist mein Engagement sinnvoll?

Wem nützt Freifunk? Von dem tatsächlich vorhanden Nutzen vorallem in Flüchtlingsunterkünften einmal abgesehen, hat Freifunk aus meiner Sicht kaum noch einen Impact. Dass die viel beschworene Mesh-Funktion wirklich sinnvoll verwendet wird, erlebe ich sehr selten. Fensterbank-zu-Fensterbank-Mesh, wie lange propagiert, funktioniert technisch schlicht nicht. Durch den hohen Verbrauch an Airtime ist kein sinnvoller Durchsatz realisierbar. Dedizierte Richtfunkstrecken werden sinnvoll genutzt, sind aber gleich wieder ein ganz anderer Aufwand an Technik, finanziellen Mitteln und Koordinierung. Mesh im klassischen Sinne ist das dann auch nicht mehr. Was bleibt also?

Im Prinzip ist Freifunk noch ein billiger Hotspotprovider und ein Spielzeug für Nerds. Beides klemmt man meistens hinter den sowieso vorhandenen DSL-Anschluss.

Ein anderes Problem ist die Stabilität und die Wartung des Netzes: Klassische Freifunk-BATMAN-Netze sind durch ihre Architektur als großes, Regionsumgreifendes Layer-2-Segment eher instabil. Und irgendwie müssen die Daten dann noch ins Internet kommen - dies passiert meist an einem zentralen Supernode, Gateway, oder wie auch immer man diesen Teil des Netzes nennen mag. Von der oft beschworenen Dezentralität ist an dieser Stelle nicht mehr viel übrig. Den meisten Nutzern ist die wahrscheinlich auch egal. Und wenn der Internet-Datenverkehr dann auch noch über ein VPN geht, um aus rechtlichen Gründen irgendwie sauber im Internet zu landen, ist von einer Verbindungsqualität nicht mehr viel übrig.

Apropos Dezentralität: Freifunk ist ja dezentral. Es gibt nicht “das” Freifunk, sondern mehrere Communities, die alles ein bisschen anders machen. In gewisser Weise sind Freifunk-Communities ja Profis in der Anwendung des “Not-invented-here”-Phänomens: Überall macht man etwas ein bisschen anders als bei den Nachbarn. Mal arbeitet man zusammen, mal wird das Rad neu erfunden, oder einfach die Konfiguration vom Nachbarn kopiert. Genau da liegt aus meiner Sicht die Schwäche des Freifunks: Man ist zu dezentral. Wenn jede Community sich mit 2-3 aktiven Technikern über Wasser hält, wirksame Öffentlichkeitsarbeit nur in Ausnahmefällen passiert, und immer mal wieder eine Community stirbt, während im Nachbarlandkreis eine neue (mit neuer technischer Basis) gegründet wird, mag das dezentral sein. Die Sache an sich bringt das aber überhaupt nicht weiter: Man ist mit sich selbst beschäftigt, und hat in der Regel Ressourcenmangel. Von dem ganzen Elektroschrott der 841er-Qualitätshardware, welche noch in den Netzen steht und künstlich am Leben erhalten wird, will ich hier garnicht erst anfangen.

Alles in allem würde ich meinen primären DSL-Anschluss der Telekom nicht durch Freifunk ersetzen wollen. Ich brauche eben Internet, auf dass ich mich verlassen kann - sowohl technisch, als auch organisatorisch.

Fassen wir zusammen:

Wenn “Freifunk” die Technik und Öffentlichkeitsarbeit in großem Stil gemeinsam betreiben würde, und dann auch noch eine ordentliche gemeinsame Richtung hätte, wären wir vermutlich deutlich weiter, als wir es bisher sind. So ist man, unter dem Deckmantel der Dezentralität, hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. In gewisser Weise hat die Freifunk-Welt ein Führungsproblem. Das ist Schade, denn viele Chancen, ein offenes Netz in der Gesellschaft zu etablieren, bleiben so ungenutzt.

Warum ich doch noch aktiv Freifunk mache? Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus Pflichtgefühl gegenüber den Nutzern, und dem Fakt, dass ich doch eigentlich ganz gern an Netzwerkdingen bastle. Am Backend oder der Firmware basteln ist ja abundzu doch ganz nett. Auch, wenn momentan die Luft raus ist.

Was also tun? Wir als OpenSource/Chaos-Community könnten uns mal Gedanken machen, wie wir einen offenen ISP solide und Zuverlässig realisieren, und aus den Fehlern von Freifunk und anderen Projekten lernen. Vielleicht folgen in diesem Blog demnächst ein paar Gedanken dazu.


Marvin

Freifunk

638 Words

2020-11-16 00:00 +0000

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